Herbert Taschler: Südtiroler Wein- und Kellerei-Geschichten. Von der Weinschwemme zur Qualitätsoffensive — 41 Kellermeister und Weinpioniere erzählen
Athesia Verlag, Bozen, 2017, 400 Seiten, ISBN: 978-88- 6839-300-7, deutsch
von Michael Benger / sensationWein – Buchvorstellung “Südtiroler Wein- und Kellerei-Geschichten”
Sonntag, 09. Januar 2023
Lesezeit: ca. 4 Minuten

Südtirol – nördlichste Weinregion Italiens. Acht DOC-Anbaugebiete aufweisend. Heimat von 62 Kellereien, die mit den begehrten Tre Bicchieri des Gambero Rosso ausgezeichnet wurden. Für diverse Weine mit ihrem „eigenständigen alpin-mediterranen Charakter“, die zur „Avantgarde des internationalen Weinbaus“ zählen. In der Buchvorstellung „Südtiroler Wein- und Kellerei-Geschichten“ erfahren Sie mehr über ein Buch, welches die maßgeblichen Akteure dieser Erfolgsgeschichte zu Wort kommen lässt.
Südtirols Weinwirtschaft habe sich in den letzten Jahrzehnten gewaltig verändert, so stellt Hans Terzer, Präsident des Verbandes Südtiroler Kellermeister, in seinem Gastbeitrag am Ende des Buches von Herbert Taschler fest. Und entsprechend ist denn auch das Buch des Weinpublizisten und Sommeliers untertitelt: Südtiroler Wein- und Kellerei-Geschichten. Von der Weinschwemme zur Qualitätsoffensive.“ “41 Kellermeister und Weinpioniere erzählen“, heißt es weiter.
Persönlich erzählte, individuell gelebte Weinbaugeschichte(n)
Taschler lege keine „wissenschaftlich-historische Abhandlung“ vor, sondern persönlich erzählte, individuell gelebte Weinbaugeschichte(n), basierend auf Interviews, die der Autor großteils in 2016, einige wenige auch schon viel früher, mit seinen Protagonisten geführt hat.
Aber zäumen wir das Pferd weiter von hinten auf, beginnen wir mit dem schon erwähntem Gastbeitrag Terzers, der als Kellermeister der Eppaner Genossenschaft St. Michael selbst auch zu den Portraitierten gehört. Sein Artikel fasst einige wesentliche Aspekte dieser Entwicklungsgeschichte zusammen. Da wird etwa die Veränderung im Rebsortenspiegel hin zum Weißweinland angesprochen, die Umstellung der Erziehungsformen vom traditionellen Pergel zum Drahtrahmen, aber auch das Selbstverständnis und Tätigkeitsprofil des Kellermeisters. Vom „Hüter des Kellers“ zum Weinbauberater einerseits und „Botschafter der Kellerei“, ihrem Aushängeschild, andererseits.

Ganz wesentlich war hier die Etablierung eines institutionellen Rahmens. Quasi als Resonanzboden der im Buch zu Wort kommenden Persönlichkeiten der Südtiroler Weingeschichte. Diese Akzentuierung der strukturellen Rahmenbedingungen tut dem Buch gut und hebt sich positiv von all jenen Darstellungen ab, die den Erfolg irgendeiner Weinbauregion allzu sehr mit einem Personenkult verknüpfen.
Krisenjahre und Qualitätsoffensive
In den 41 Kapiteln zuvor kommen viele der maßgeblichen Akteure der Weinbaugeschichte des Alto Adige zu Wort. Über die Hälfte der Interviews deckt dabei den Zeitraum von 1950 bis 1990 ab – von den Wiederanfängen nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu den 1980er Krisenjahren mit ihren massiven Exporteinbrüchen und 40-prozentigem Preisverfall.
Aber es war auch die Zeit der Innovationen und des Umdenkens. Im Versuchszentrum Laimburg wird, endlich, die Sektion Kellerwirtschaft eingerichtet. „Visionäre und Vordenker“ wie Luis Raifer, Alois Lageder, Peter Dipoli und eben Hans Terzer leiten ein neues Kapitel der Weingeschichte ein. Den Abschluss bilden dann die schumpeterschen Macher und, wie die Kellermeister hier heißen, „Schaffer“ der Qualitätsoffensive. Darunter nur eine Frau, Elena Walch (was auch das hier benutzte generische Maskulinum entschuldigen mag).
Alpine Seilschaften und Europaverschnitt
Die einzelnen Beiträge der Protagonisten sind chronologisch, nach ihrem Geburtsjahr geordnet und korrespondieren daher mit der geschichtlichen Entwicklung. Nach einer knappen biographischen Notiz ist der eigentliche Bericht dann aus der Perspektive des Ich-Erzählers verfasst. Das schafft Authentizität und Nähe zur Leserschaft.

Fast etwa meint man Alfons Giovanett, zunächst von 1947 bis 1955 Kellermeister in Terlan, über die Schulter zu schauen, wenn er nächtens, die illegale Zuckerlieferung für die Weinbereitung war kaum verstaut, Besuch von den zuständigen Kontrolleuren aus San Michele all‘Adige bekam. „Gott sei Dank“, so erzählt der spätere Gründer des Weingut Castelfeder in Neumarkt, „war da ein Schulkollege von mir dabei.“ Oder man hört das Plätschern, als, ebenfalls im Schutz der Dunkelheit, die mit Lastwagen angelieferten billigen Verschnittweine aus Apulien und den Abruzzen kurzerhand ins Schwimmbad von Kaltern gefüllt wurden, weil in den Bottichen einer ortsansässigen Kellerei kein Platz mehr war, wie sich Walter Tapfer vom Castel Sallegg erinnert.
In Andrian, so Luis von Dellermann, dortiger Kellermeister, bevor er 1968 zu Alois Lageder ging, in Andrian gab es gar so etwas wie einen „Europaverschnitt“. „Ein Hektoliter Südtirol, ein Hektoliter Spanien sowie etwas Algerien – und fertig war der Kalterersee.“
Neue Interessenkonstellationen
Als Vertreter der etwas jüngeren Geschichte kommt etwa Josephus Mayr vom Erbhof Unterganzner stellvertretend für die 1999 gegründete Vereinigung der Freien Weinbauern Südtirol zu Wort, deren Präsident er Anfang der 2000er Jahre war. Nach anfänglichen Schwierigkeiten und Widerständen habe sich dieser Interessensverband heute als dritte Kraft der Südtiroler Weinwirtschaft etabliert.
Schließlich soll die oben schon erwähnte „Grande Dame der Südtiroler Weinwelt“, Elena Walch, hier in der Buchvorstellung “Südtiroler Wein- und Kellerei-Geschichten” nicht unerwähnt bleiben. In dem ihr gewidmetem Kapitel berichtet die „Quereinsteigerin mit Charme und Schwung“ von den Stationen ihrer Karriere an die Spitze der Qualitätsweinproduzenten. Wesentlich etwa ihr Erfolg in den 1990er Jahren bei einem Süßweinwettbewerb in Umbrien. Ein geteilter erster Platz des Rosenmuskatellers „ex aequo“ mit dem vom sizilianischen Weingut Donnafugata eingereichten „Ben Rye“. „Das verhalf mir zu einem Durchbruch.“
Fazit meiner Buchvorstellung “Südtiroler Wein- und Kellerei-Geschichten”
Und so verfolgt man mit der Lektüre die Geschicke der letzten 70 Jahre Weinbau, Kellerwirtschaft und Vermarktung in Südtirol. Nicht erschöpfend, nicht allumfassend. Aber dafür äußerst unterhaltend und mit Geschichte(n) aus erster Hand. So stellt Taschlers Buch, nicht nur eine Hommage an die vorgestellten Persönlichkeiten dar, sondern auch eine gebündelte Dokumentation von Zeitzeugnissen aus erster Hand. Sehr lesenswert.

Und wenn Sie nun mehr über dieses faszinierende Weinbaugebiet erfahren und seine Weine probieren möchten, dann schauen Sie doch mal hier nach.

Buchvorstellung: Südtiroler Wein- und Kellerei-Geschichten, Herbert Taschler, 2017
Lesezeit: ca. 4 Minuten
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