John Szabo: Pairing Food & Wine for Dummies
von Michael Benger / sensationWein – Buchvorstellung “Pairing Food & Wine for Dummies”
Sonntag, 22. Oktober 2022
Lesezeit: ca. 8 Minuten

„Kauen+Schlucken+Trinken+Kauen …“ – Ferran Centelles, langjähriger Sommelier im Kult-Restaurant elBulli, stellte 2014 in einer Expertenbefragung fest, dass 90% der Restaurantbesucher Speise und Wein nicht am Gaumen vermischen, sondern den Wein als Gleitmittel für die Speiseröhre nutzen. Ein kultureller Atavismus? Oder ist die Suche nach der gelungen Kombination überbewertet?
Zugegeben, ein besonderer Leseanreiz mag von Buchtitel und Einband nicht unbedingt ausgehen. For Dummies! Seit 1991 hat der US-amerikanische John Wiley & Sons-Verlag rund 2.500 Titel aus dieser Serie mit insgesamt über 200 Millionen Büchern herausgegeben. Ukulele for Dummies etwa, oder auch Dog Training for Dummies. 2013 dann diese Gebrauchsanweisung für ein, nach Meinung vieler, so mystisches wie sophisticated Sujet, wie es die Kunst der mariage, die gelungene Kombination von Speisen und Wein, darstellt. Geschrieben aber für Dummköpfe. Nicht sehr schmeichelhaft. Und im Bücherregal erst. Womöglich neben den Standardwerken der internationalen Weinliteratur dann das. Plakatives Schwarz und Gelb dominieren den Buchdeckel. Die Comic-Schrift sticht ins Auge. Daneben verblasst das Rosa des etwas über den Garpunkt geratenen gegrillten Lachses ebenso wie der dazugehörige blässliche Weißwein. Beides rechts unten abgebildet. Aber, wir sind ja keine Etiketten-Leser.
Autor, Inhalt, Gebrauch
Der Autor John Szabo, einer von weltweit rund 270 Master Sommelier, Kanadier, Weinjournalist und -kritiker, Berater, dazu noch Miteigentümer eines Weingutes im ungarischen Städtchen Eger, schreibt über Anspruch und Zielgruppe seines Ratgebers: „Es geht darum, praktische Informationen über ein komplexes Thema an ein möglichst breites Publikum weiterzugeben, vom Einsteiger bis zum erfahrenen Profi, der Wissenslücken schließen möchte.“ Diese vermittelt er in sechs Abschnitten: Appreciating the Marriage of Food and Wine: The Nose Knows (mit 3 Kapitel), The Nuts and Bolts: Developing Strategies for Food and Wine Pairing (5 Kapitel), Sorting Out the World of Wine (4 Kapitel), Un-covering the Best Wine Bets with World Cuisine (and Cheese) (8 Kapitel), Party Time! Pairing with Friends … and Professionals (3 Kapitel) und schließlich The Part of Tens (2 Kapitel).
Symbole am Seitenrand sind Standardmerkmale der For Dummies-Reihe. Drei davon werden in diesem Buch verwendet. Das tip-Icon soll auf praktische Vorschläge zur Umsetzung der Empfehlungen hinweisen, besonders wichtige Dinge werden durch das remember-Icon hervorgehoben und die Bombe des warning-Icons signalisiert, dass man sich mit bestimmten pairings auf ein kulinarisches Minenfeld begeben könnte. Grau hinterlegte Textfelder markieren Exkurse mit Wissenswertem etwas abseits vom Thema. Zum aktuell in der Forschung diskutierten sechsten Geschmackssinn (Seite 24) beispielsweise, zum Konservierungsmittel Schwefeldioxid im Wein (Seite 99) oder zu den Ursprüngen des Gulaschs (Seite 239). Ein umfangreicher Index rundet das als Paperback veröffentlichte Buch ab.
Je nach Vorwissen und Interesse lässt es sich sowohl als Nachschlagewerk zu einer konkreten Weinempfehlung nutzen, eignet sich dank des modularen Konzeptes zum Nachlesen bestimmter Sachverhalte oder als komplette Einführung in die fabelhafte Welt der gelungenen Kombination von Speise und Wein.
„Duhu, Schahatz. Was trinken wir heute Abend zum creole chicken gumbo?“ Die Antwort finden Sie auf den Seiten 199 bis 202. „Wie war das noch mal mit der retronasalen Wahrnehmung?“ Lesen Sie hierzu Kapitel 2. Für den kompletten Novizen aber empfiehlt sich die Lektüre von Beginn an.
Katastrophe, Schweiz, Selbstdarsteller und Magie – Abschnitt 1
Lernziele des ersten Abschnittes daher: Wie funktionieren unsere Sinne? Welche Rolle spielt dabei der Verstand? Wie beeinflussen frühere Erfahrungen unsere heutigen Vorlieben? Fundamentales zum Zusammenspiel von Essen und Wein wird vermittelt. Dabei ist positiv hervorzuheben, dass Szabo auch die grundlegende Technik des gemeinsamen Verkostens anspricht. Allzu häufig kann man selbst in Sterne-Restaurants Gäste beobachten, bei denen der Wein lediglich zwischen den Bissen, quasi als Erfrischung und Befeuchtung der Speiseröhre, genossen wird. Absolut legitim, aber – Pairing-Effekte bleiben dann nur marginal.
So unterscheidet der Autor denn auch am Ende dieses Abschnittes vier Ergebnisse des food pairings: Erstens, die Naturkatastrophe, die sich ereignet, wenn etwa ein tannin- und extraktreicher Taurasi und Jakobsmuscheln am Gaumen aufeinander treffen – metallisch, bitter, sauer. Zweitens, der Schweiz-Effekt – „alle Beteiligten gehen ihren Geschäften nach, bleiben neutral und lehnen es ab, sich einzumischen“.

Drittens der Selbstdarsteller. Das sich selbst genügende, perfekte Gericht, welches nur einen sanftmütigen Wein als Nebendarsteller duldet. Oder,vice versa, der komplexe Pinot, der bestenfalls einem zurückhaltenden Rinderbraten jenseits des Rampenlichts Platz einräumt. Der pure heaven aber ist, viertens, das eigentliche Ziel. „Dann verschmelzen die Aromen und Geschmacksrichtungen der Speisen und des Weins zu einem Ganzen […] Das Essen poliert die Textur des Weins und verbindet sich nahtlos mit ihm, während der Wein verborgene Geschmacks- und Texturempfindungen im Essen freilegt.“ Wahrhaftige Magie.
Braucht Säure Säure, oder wie war das mit dem Umami? – Abschnitt 2
Wie man in diesen kulinarischen Himmel kommt, ist dann Gegenstand des recht umfangreichen zweiten Abschnitt des Buches. Hier geht es ans Eingemachte. Grundlegende Theorien, praktische Richtlinien und bewährte Verfahren einer erfolgreichen Kombination von Speisen und Wein werden vorgestellt. Themen wie die Bestimmung der dominanten Komponente eines Gerichts, die Berücksichtigung der Zubereitungsmethode, die Suche nach Ergänzung oder Kontrast von Aromen und Texturen sowie der regionale Ansatz beim Pairing werden angesprochen.
Die klassischen Regeln der geschmacklichen Harmonie gehören hierzu, etwa „Säure braucht Säure“, „Tannine lieben Salz und Fett“ oder „Zucker mildert Schärfe“. Aber auch das in den 2000er Jahren entwickelt Konzept der Aromenverwandschaft wird angesprochen. Da geht es um die ätherischen Öle der Doldenblütler, eine Pflanzenfamilie, zu der viele unserer Kräuter und Gemüsesorten zählen, die auch in cool climate Weißweinen zu finden sind. Oder um Sotolon, für Szabo das aromatische Äquivalet zum Umami-Geschmack, dessen charakteristisch nussigen, süßlich-karamellisierten und curry-artigen Aromen nach gereiften und im Barrique ausgebauten Rotweinen verlangen.
Eine Frage des Stils – Abschnitt 3
Abschnitt drei schließlich kategorisiert in einem Top-down-Ansatz die unterschiedlichen Weinstile. Es sind die üblichen Verdächtigen – neun an der Zahl: von den leichten, knackigen und schlanken bis zu den cremigen, im Holz ausgebaute Weißweine, von den spritzigen, tanninarmen Rotweinen bis zu den Schwergewichtlern der Weinwelt, den turbocharged, vollen, kräftigen, Rotweinen. Schaumweine, Süß-weine und angereicherte Weine nicht zu vergessen. Diese Kategorien, und nicht bestimmte Rebsorten oder Anbaugebiete, bilden dann jeweils den Mittelpunkt sogenannter pairing trees, um die herum sich jene komplementären Zutaten, Speisen und Zubereitungsmethoden verzweigen, die gut zu dem betreffenden Weinstil passen.

In 595 Gerichten um die Welt – Abschnitt 4
Teil 4 von Pairing Food & Wine for Dummies ist dann den konkreten Weinempfehlungen zu den verschiedensten Gerichten rund um den Globus vorbehalten. Es ist der enzyklopädische Abschnitt des Buches mit vielen landes- und regionstypischen Speisen, denen der am besten passende, häufig dem regionalen Ansatz verhaftete Weinstil sowie eine Alternative, beides mit Nennung der Rebsorte, zugeordnet sind. 595 Speisen und Gerichte führt Szabo hier insgesamt auf — 130 für die südeuropäisch-mediterrane Küche in Kapitel 13, 77 für Nordamerika (Kapitel 14), 83 für Mittel- und 37 für Osteuropa (Kapitel 15 und 16), 139 für Asien (Kapitel 17), 74 für Mexiko und Südamerika (Kapitel 18) und schließlich 55 für die Küche des Nahen Ostens und Nordafrikas (Kapitel 19).
Jedes einzelne dieser Kapitel ist selbstredend nochmals länder(gruppen)spezifisch unterteilt. Asien etwa in das insulare und das festländische Südostasien, in die chinesischen Provinzen Sichuan, Guangdong, Hunan und Beijing, ferner in Japan, Korea und den indischen Subkontinent. Ein weiteres Feintuning wird durch die kulturellen Besonderheiten definiert. In Europa ist das mehrgängige Menü (Vorspeise, Hauptgericht, Dessert) ein relativ stringent anwendbares Kriterium.
Für Nordamerika unterscheidet Szabo hingegen das casual dining mit Sandwiche, Burger, Dog, Mac ’n‘ Cheese etwa, vom holiday meal mit Turkey, Ham oder auch Prime Rib. Abgerundet wird dieser Teil des Buches mit einem Blick auf die Kombination von Käse und Wein.
Plastikverschweißte Weinkarten und andere Signale – Abschnitt 5
Um verschiedene Settings des Genusses von Essen und Wein dreht sich der fünfte Abschnitt des Buches. Hier gilt es die unterschiedlichen Ausgangssituationen zu bewältigen — ob beim auswärtigen Speisen, etwa in einem gehobenen Etablissement oder in einem eher einfachen Restaurant. Oder im Privaten, bei einer Party, einem Empfang oder im engen Familienkreis. Den Tipps für das Aufstöbern weinaffiner Restaurants (gibt es einen Sommelier? sind die Tische mit hochwertigen Gläsern eingedeckt? wird eine Weinkarte mit Preisauszeichnung veröffentlicht? gibt es einen Weinkühlschrank? bietet die Speisekarte Weinkombinationen an? etc.) folgen einige Warnsignale (in Plastik eingeschweißte Weinkarten, fehlende Jahrgangsnennung, gebrandete Karten).
Und weiter im Kontext — wie kann ich den best buy von der cashcow des Hauses unterscheiden? Letzteres verstanden als Weine mit dem höchsten Gewinnaufschlag, die häufig den Rest des Weinprogramms subventionieren. Soweit Kapitel 21. Im darauffolgenden geht es dann um die entgegengesetzte Rolle als Gastgeber und die richtige Auswahl des Weines zu diversen Gelegenheiten. Und für den besonders ambitionierten Leser schließlich stellt Kapitel 23 die Ausbildung zum Sommelier vor.
Für Tölpel? Der abschließende sechste Teil trägt den Titel The Part of Tens, ist anscheinend ein Standard in der for Dummies-Reihe und will als eine Art hotline verstanden werden. Das Wesentliche kurz und bündig zusammengefasst. 10 speisefreundliche Weine im Kurzportrait einerseits, zehn weinfreundliche Speisen andererseits.
Fazit
Pairing Food & Wine for Dummies ist ein leicht zu lesender Ratgeber mit vielen grundlegenden Informationen für den Anfänger. Darüber hinaus ist es ein nützliches Nachschlagewerk für den fortgeschrittenen Hobbykoch. Für den ambitionierten Weinliebhaber ist es vielleicht eine Einladung, sich an die Küchen unterschiedlichster, auch exotischer Länder heranzukochen. Mit zunehmender Erfahrung, vertieftem Wissen und elaborierterem Gaumen aber wird das Buch wohl immer weiter in den Tiefen des Bücherregals verschwinden. Und dann werden sich, mit Blick auf das Buchcover, die Vorbehalte schon längst aufgelöst haben.

Buchvorstellung: Pairing Food & Wine for Dummies, John Szabo, 2013
Lesezeit: ca. 8 Minuten
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