Sarah Jane Evans: The wines of nothern Spain
From Galicia to the Pyrenees and Rioja to the Basque country, 2018
von Michael Benger / sensationWein – Buchvorstellung „The wines of nothern Spain“
Bochum, Samstag, 22. Juli 2022
Lesezeit: ca. 9 Minuten

Spanien verfügte in 2018, dem Erscheinungsjahr von „The wines of nothern Spain“ über rund 940.000 Hektar Weinberge. Das bedeutete im globalen Vergleich einmal mehr Platz 1. Was sich in den Weinregionen im Norden Spaniens in den letzten Jahrzehnten getan hat, ist Gegenstand dieses Buches. Hier kurzweilig vorgestellt und mit zusätzlichen Informationen ausstaffiert.
„Das spanische System der Weinbezeichnungen hat sich als wirksam erwiesen, um geografische Namen und Herkunft zu schützen, aber es hat die Differenzierung der Böden und die Qualitätsniveaus außer Acht gelassen. Die Bemühungen zielten darauf ab, unsere Weinberge zu den größten der Welt zu machen, nicht zu den besten.“ Dieses Zitat aus dem Manifiesto Matador, verabschiedet von rund 150 Persönlichkeiten der spanischen Weinwelt im November 2015 im gleichnamigen Madrider Club, bildete seinerzeit den aktuellen Bezugsrahmen und spannte so etwas wie einen großen Schirm über die einzelnen Kapitel des 2018 erschienen Buches “The wines of northern Spain. From Galicia to the Pyrenees and Rioja to the Basque country” von Sarah Jane Evans.
Die Autorin, seit 2006 Master of Wine, ist unter anderem eine renommierte Weinjournalistin mit dezidierten Fachkenntnissen der spanischen Weinwelt. Da diese in den letzten dreißig Jahren eine außergewöhnliche Zeit des Wandels erlebt habe, sei eine ergänzte und aktualisierte Darstellung dringend erforderlich geworden. Und weil die iberische Halbinsel inzwischen so vielfältig und interessant geworden ist, wie Evans einleitend bemerkt, habe sie sich dazu entschlossen, dieses Portrait in zwei Büchern anzufertigen. Die 2018 veröffentlichte, hier vorgestellte, erste Publikation befasst sich mit Nordspanien.
Geschichte und Rebsorten
Dreitausend Jahre Weinbaugeschichte werden im ersten Kapitel kurzweilig auf acht Seiten abgehandelt. Erwähnung finden die Anfänge mit den Phöniziern und den Römern, der Dämpfer durch die Invasion der Mauren aus Nordafrika, die mit der Reconquista und Ankunft der Kirche aus Frankreich erfahrene Wiederbelebung des Weinbaus, der Aufstieg Riojas während der Karlistenkriege im 19. Jahrhundert, die Ankunft der Reblaus, die verheerende Wirkung des spanischen Bürgerkrieges und des Zweiten Weltkrieges, sowie die dem Qualitätsweinbau nicht zuträgliche Zeit der franquistischen Diktatur. Erst die Demokratisierung und der Beitritt zur Europäischen Union brachte Fortschritte. Allerdings auch, was den Export billiger Bulkweine betrifft. Dennoch, „Spanien war für Weinliebhaber noch nie so spannend wie heute“, schließt Evans diese Rückschau ab.
Zu verdanken sei dies wesentlich auch, so Kapitel 2, den Anstrengungen um alte, in Vergessenheit geratene, seinerzeit zu Gunsten von krankheitsresistenten Massenträgern vernachlässigte heimische Rebsorten. Von Albarín Blanco bis Vidadillo werden 34 weiße und 37 rote Rebsorten vorgestellt – viele Autochthone, einige Internationale. Auch hier konzentriert sich die Autorin auf das Wesentliche und das der Bedeutung der jeweiligen Sorte Angemessene.
DOPs und IGPs
Mit dem dritten Kapitel geht es dann in medias res, will heißen, in die acht Comunidades autónomas des nördlichen Spaniens mit ihren insgesamt 32 Denominación de Origen Protegida (DOP), den geschützten Ursprungsbezeichnungen für Wein. Die DOP españolas umfassen dabei vier Kategorien, die als sogenannte „traditionelle Begriffe“ auch auf dem Flaschenetikett erscheinen dürfen:

DOCa (Denominación de Origen Calificada), DO (Denominación de Origen), VP (Vino Pago) und schließlich VC (Vino de Calidad). Beachtung schenkt Evans ebenfalls den seinerzeit 14 — in 2018 ist mit Ribeiras do Morrazo eine weitere dazugekommen — Indicación Geográfica Protegida (IGP), den geschützten geografischen Angaben bzw. ehemaligen Vino de la Tierra (VT).
Den Auftakt macht Galicien, im jahrhundertelang vergessenen nordwestlichen Zipfel der iberischen Halbinsel gelegen, wo „heute Weine produziert, die zu den besten der Welt zählen.“ Pilgrims, Parrales, Pazos heisst es in der Kapitelüberschrift, womit neben der religiösen Bedeutung von Santiago de Compostela auch die anhaltende Debatte über die Reberziehung (traditionelle Parral, also Pergola, in Mischkultur versus Maschineneinsatz ermöglichenden, monokulturellen Kordon) sowie die Relevanz der traditionellen galicischen Minifundien mit ihren alten Pazos oder Herrenhäusern als Herzstück angedeutet ist. Weiter geht’s durch das España verde entlang der Atlantikküste durch die autonomen Gemeinschaften Asturien, Cantabrien und País Vasco – von Regionen mit, in Evans Worten, „heroischem Steillagenweinbau“, hin zu den baskischen Anbaugebieten, deren Weine eher dem südfranzösischen denn dem spanischen Stil entsprechen, sowie der gastronomischen Hauptstadt Spaniens, wenn nicht Europas, San Sebastián.
Von der Meseta über Rioja nach Navarra und Aragón
Kapitel 5 führt dann auf die Iberische Meseta, das kastilische Hochland von Kastilien und León mit seinen bekannten (Rueda oder Toro etwa) und seinen weniger im Rampenlicht stehenden DOPs (wie Cigales oder Valles de Benavente) und seiner weitläufigen gleichnamigen IPG, die den ansässigen Winzern und Kellereien weit mehr Freiheiten hinsichtlich Sortenauswahl, Ertrag, Ausbau und Reifung lässt und somit ein wahres Experimentierfeld bietet.

In einem separaten Kapitel 6 behandelt wird die wohl prestigeträchtigste, aber auch umstrittenste DOP dieser Gebietskörperschaft, Ribera del Duero und ihr Glamour des Tinto Fino. Evans erörtert hier die verschiedenen Ansätze bei der Weinherstellung. Der von Robert Parker so sehr geschätzte wuchtige, konzentrierte Stil des Ribera setzte dabei zu lange die Messlatte für das Ringen der Alphamännchen um Beachtung. Over-extracted und over-oaked Weine waren und sind häufig genug das eher im heimischen Markt honorierte Resultat.

Auch das darauffolgende Kapitel ist einer einzigen DOP gewidmet, der DOCa Rioja. Eine ganze Welt in einem einzigen Wort – so die nicht ganz wortgetreue Übersetzung der Überschrift. Dieser Grande Dame gilt denn auch die ausführlichste Beschreibung des Buches. Und auch das Eingangszitat stammt aus diesem Abschnitt. Aber dazu später mehr.
Schließlich endet die Reise durch die Weinbaugebiete des nördlichen Spaniens in den autonomen Gemeinschaften Navarra und Aragón, Land der Könige und garnachistas. Ersteres verweist auf die ruhmreiche Vergangenheit dieses Landstrichs auch in puncto Weinhandel, letzteres auf die jüngsten Erfolge mit saftig prallen Garnachas, die allerdings oft genug mit zu preiswertem Trinkvergnügen keine nachhaltige Marktposition aufbauen.
Land und Leute – und LVMH
Historie, Klima, Topographie und Böden, Weinbau und önologische Verfahren, aktuelle Tendenzen, ergänzt durch eine Fakten-box „at a glance“ mit Informationen zum Sortenspiegel, zur Rebfläche, zur Anzahl der Weinbauern und Kellereien – die Präsentation des jeweiligen Anbaugebietes besprechen die gebietsspezifischen Aspekte in einer für die Bedeutung der Region angemessenen Ausführlichkeit. Gespickt natürlich mit Geschichten und Anekdoten. Etwa die aus der glamourösen, zuhauf gebietsfremde Investoren anziehenden DOP Toro. Hier lockte die im Besitz des Luxusgüterriesen LVMH befindliche Bodegas Numanthia 2017 ihre Kundschaft zum Kauf von je 300, in edles Leder des spanischen Modehauses Loewe, ebenfalls LVMH, gehüllte Flaschen Termanthia. Für überschaubare 95.000 Euro.
Das Bürgermeisterstück aber bildet die Vorstellung der in der jeweiligen DOP ansässigen Weingüter. Evans hat nach eigenem Bekunden alle oder fast alle der bekannten und etablierten Erzeuger aufgenommen, dazu noch einige in ihren Augen interessante Hersteller mit guten Weinen. Schließlich rundet eine Rubrik „On the radar“ diese jeweiligen Abschnitte mit einer Erwähnung von jungen, noch nicht bewährten Projekten ab. So kommt die Autorin auf rund 200 mehr oder weniger ausführlich besprochener Kellereien. Für die abgelegene DO Cangas im südlichen Asturien beispielsweise sind es deren drei (von insgesamt nur sechs hier präsenten), für die im Aufbruch befindliche DO Navarra 18, für die dynamische DO Rías Baixas 38 und für die mittlerweile etablierte DO Ribera del Duero 40. Der Löwenanteil fällt natürlich auf die DOCa Rioja – 63 plus Artadi.
Plus Artadi
Die 1985 in der baskischen Rioja als kleine Kooperative gegründete Bodegas y Viñedos Artadi entwickelte sich zu einem erfolgreichen Unternehmen. Der 2004er Viña El Pisón ergatterte als erste Wein aus der Rioja die begehrten 100 Parker-Punkte. Nun aber der Paukenschlag. Juan López de Lacalle, inzwischen Alleinbesitzer der Bodegas verkündete offiziell am 30.12.2015, also kurz nach Erscheinen des Manifiesto Matador, den Austritt aus der Appellation Rioja. Begründung: die nach wie vor fehlende Terroir-Klassifizierung im Regelwerk der DOCa. Evans sieht diese Ereignisse als „Teil eines größeren Gefühls der Unzufriedenheit mit den Regulierungsbehörden in ganz Spanien.“
Es bot sich ihr daher an, im Rioja-Kapitel die aktuellen Debatten „über Einzellagen- und Ortsweine, über die Vorteile der Klassifizierung von Weinen nach ihrer Reifezeit in Eichenfässern und darüber, wie die Qualitätsunterschiede zwischen Weinen aus ein und demselben Gebiet am besten definiert werden können“ in Form eines Exkurses abzubilden. Wie das funktionieren kann, hatte Evans bereits im Abschnitt über Kastilien und León für Bierzo dargestellt, Spaniens erste DO mit einer burgundischen Klassifizierung. Diese, nach Veröffentlichung des Buches inzwischen vom Landwirtschaftsministerium genehmigt, sieht neben den generischen und Orts- sowie Bereichsweinen (Vinos de Villa, de Paraje) auch Weine aus Cru und Grand Cru Weinbergen (Vinos de Viña Clasificada y Gran Vino de Viña clasificada) vor.
Plus Pulpo a feira
Eine Vielzahl weiterer Exkurse zu unterschiedlichsten Themen finden sich verstreut im Buch. Mal dreht es sich um Tipps für den Besuch des touristisch überlaufenen Santiago de Compostela, mal um die exzellenten Tintenfischgerichte, die im Städtchen O’Carballiño kredenzt werden. Dann wiederum geht es um den Wendepunkt, den Rueda nach 20-jähriger Erfolgsgeschichte nun ob der Masse anonymer Weine mit einfachster Ausbautechnik durchlebt, oder, mit Blick auf Navarra, um die viel diskutierte Klassifizierung Vinos de pago, 2003 als vermeintliche Spitze der spanischen Qualitätspyramide eingeführt, dann doch aber auch Mittelmaß verkörpernd.
Das Buch endet mit dem Kapitel „Where to eat, drink and stay“ und einem anschließenden Glossar.
Sarah Jane Evans hat mit „The wines of northern Spain. From Galicia to the Pyrenees and Rioja to the Basque country“ eine informative Lektüre über die Weine des nördlichen Spaniens vorgelegt. Ein Wermutstropfen aber ist das bescheidene Kartenmaterial und das Fehlen von Bildern und Tabellen. Das können auch die Rekurse auf eines der interessantesten und kompetentesten Reisebücher der Weltliteratur, das 1845 erstmals erschienene „Hand-Book for Travellers in Spain, and Readers at Home“ des Engländers Richard Ford nicht kompensieren. Allerdings scheint dies eine Art Markenzeichen des Verlages Infinite Ideas zu sein, der in anderen Publikationen seiner Reihe The Classic Wine Library ebenso sparsam verfährt. Schade.

Epilog
Dem Manifiesto Matador übrigens folgten eine Reihe von Treffen zwischen Erzeugern, aus denen schließlich der gemeinnützige Verein Futuro Viñador hervorging. Mit den Worten seines Präsidenten Eulogio Pomares (Zárate, Rías Baixas) verfolge man kein kommerzielles oder rein technisches Ziel, sondern eine humanistische Vision „aus dem Blickwinkel des familiären Weinbaus in menschlichem Maßstab.“ Wir dürfen gespannt sein, wie Sarah Jane Evans die aktuellen Entwicklungen und Debatten nach 2018 in ihrem neuen Buchprojekt „The Wines of Central and Southern Spain“ aufgreifen wird.

Buchvorstellung „The wines of nothern Spain“, Sarah Jane Evans, 2018
Lesezeit: ca. 9 Minuten
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